
Ein Beitrag von Christian Schober
Der Hype der KI in der Logistik ist voll ausgebrochen, kein Magazin, kein Medium, kein Portal, keine Messe und (fast) kein Berater: Niemand scheint mehr auszukommen ohne dringende Aufrufe, KI einzusetzen. Ich finde, hier wird – wie in den letzten Jahren schon so oft – ein Zug in Gang gebracht, auf den ALLE und SOFORT und KOSTENPFLICHTIG aufspringen sollen. Sonst gäbe es keine Zukunft und kein Überleben! Leider muss man nämlich auch feststellen, dass die meisten, die einem weismachen wollen, dass ohne KI nichts mehr ginge, selbstverständlich (zuerst) am eigenen Umsatz interessiert sind. Klingt wie eine Binsenweisheit? Ist es auch, und trotzdem fallen viele darauf rein.
Hier ein paar Thesen von mir zum Thema:
- Zuerst gilt es als Unternehmen, das Logistik verursacht, braucht oder anbietet: Ruhig bleiben! Der gesunde Menschenverstand oder der Austausch mit Kollegen reicht häufig
schon aus, um erste Ansatzpunkte für einen etwaigen Einsatz ins Auge zu fassen. Ohne mit der Entwicklung in der Digitalisierung „zu fremdeln“ oder sie gar abzulehnen, darf man nämlich auch
selbstbewusst sein und zu sich selbst sagen: „Bisher haben wir es auch nicht sooo schlecht gemacht, oder?“
- KI „kann“ erstmal nur das, was man vorher als Wissen bereitgestellt hat, nämlich Zahlen, Daten und Fakten aller Art. Es ist nichts anderes, als würde man ein neues ERP-System
kaufen und meinen, jetzt „würde alles die IT machen“. Der gute alte Spruch „Shit in, Shit out“ gilt auch hier.
- Die überwiegende Zahl deutscher Unternehmen hat heute – vor Nutzung von KI – eine ganz „normale“ Logistik, die ungefähr so aussieht: Wenn es gut läuft, ein spezielle Software
TMS, LVS/WMS, oftmals aber eher Anhängsel des ERP, dazu ein gerüttelt Maß Probleme mit den Stammdaten, keine oder wenige Fachkräfte in der Verantwortung für Logistik, eine manuelle oder maximal
halbautomatische Intralogistik und wenig logistische Kennzahlen zur Verfügung. Diese Unternehmen würden mit zu frühem und unüberlegtem KI-Einsatz gleich mehrere Entwicklungsstufen überspringen
(müssen). Wie soll das gehen?
- In den Medien wird glauben gemacht, dass alle (anderen) schon weiter seien als man selbst. Das täuscht! Die wirklich großen und vor allem wirtschaftlich erfolgreichen
KI-Projekte sind weniger häufig anzutreffen als man meint und finden überwiegend nicht bei KMU statt.
- Das Wichtigste ist zu prüfen, wo der wirtschaftliche Mehrwert liegt oder woraus sich tatsächlich ein Vorteil oder eine Notwendigkeit ergibt. Da es kaum objektive Personen gibt, mit denen man sprechen kann (weil die meisten ja vor allem schnell mit einem ins Geschäft kommen wollen), bleiben neben der Familie wirklich nur langjährige Geschäfts- oder Beratungspartner oder ggf. die Lenker und Entscheidungsträger befreundeter Unternehmen für einen Meinungsaustausch. So ist der früher oft gescholtene ERFA-Kreis nach wie vor (oder wieder) ein gutes Instrument, sich zu informieren.
Es gab schon recht viele Hypes, in denen Unternehmen „kauften“, weil ihnen suggeriert wurde, es gäbe ohne schnelles „Aufspringen auf den Zug“ für das Unternehmen keine Zukunft mehr. Ich denke da
an die Zertifizierungswelle nach ISO Ende der 90er Jahre oder an den anschließenden „Jahrtausendwechsel-Bug“. Im letzten Jahr wurde die E-Rechnung durchgepeitscht. Lauter „Aufreger“, die vor
allem viele Berater auf den Plan gerufen haben.
Eines ist für mich sicher: Digitalisierung, Automatisierung und KI-Einsatz in der Logistik werden früher oder später alternativlos sein, aber wann das in welchem Unternehmensteil sinnvoll und
machbar sein wird, welche Maßnahmen tatsächlich in welcher Intensität notwendig und hilfreich sein werden, das wird von sehr vielen Faktoren abhängen. Das zu beurteilen wird dann Aufgabe der
Geschäftsführung sein. Besonnen und bedarfsorientiert Wege einzuschlagen, die das Unternehmen „kann“ und es auch vorwärtsbringen und die entsprechende Entwicklung auf den Weg zu bringen, das ist
das Gebot der Stunde.
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